Gesundheitswesen 2011; 73(1): e1-e11
DOI: 10.1055/s-0030-1247536
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Teilhabe von Patienten an Lebensbereichen als Gegenstand der Versorgungsforschung: Beziehung zu verwandten Konstrukten und Übersicht über vorhandene Messverfahren

“Teilhabe” (Social Participation) of Patients in Health Care Research: Relations to Similar Concepts and Overview of Assessment InstrumentsE. Farin1
  • 1Universitätsklinikum Freiburg i.Br., Abt. Qualitätsmanagement und Sozialmedizin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
03. März 2010 (online)

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Zusammenfassung

Die hohe gesundheitspolitische Bedeutung des Teilhabe-Begriffs steht in einem Kontrast zur vergleichsweise geringen wissenschaftlichen Resonanz, den das Teilhabe-Konstrukt (als deutschsprachiger Begriff „Teilhabe”) in der Fachöffentlichkeit gefunden hat. Es wird die These vertreten, dass dies in Zusammenhang steht mit der bisher nur unzureichenden begrifflichen Präzisierung des Konstrukts in der ICF („International Classification of Functioning, Disability and Health”) und dem Mangel an gut geeigneten Messinstrumenten. Der Beitrag befasst sich mit der Frage, welche Definitionsansätze von Teilhabe bisher vorliegen und welche Vorgehensweisen denkbar sind, um die Integration des Konstrukts in die Versorgungsforschung zu erleichtern. Basierend auf einer Sichtung der deutschsprachigen und internationalen Literatur zur Teilhabe wird das Konstrukt gegenüber verwandten Konzepten wie z. B. „social capital”, „social network”, „social support” und „community integration” abgegrenzt. Es wird der Vorschlag gemacht, Teilhabe als „soziale Rollenteilhabe” aufzufassen. Die damit verbundene Möglichkeit des Bezugs auf bestehende Forschungstraditionen und vorliegende Studien führt zur Forderung, dass eine umfassende Messung von Teilhabe fünf Dimensionen dieses Konstrukts erfassen sollte: Leistung, Leistungsfähigkeit, Wichtigkeit, Kontextfaktoren und Zufriedenheit. Eine Übersicht über vorliegende Instrumente zur Messung von Teilhabe zeigt, dass die Erfassung der in diesem Zusammenhang wichtigen ICF-Domänen bei den meisten Verfahren in hinreichendem Maße erfolgt. Es bestehen jedoch folgende Verbesserungsmöglichkeiten: a) Es liegt kein Messinstrument vor, welches alle relevanten Teilhabe-Dimensionen erfasst, b) nicht-gesundheitsbedingte Hindernisse der Teilhabe (Kontextfaktoren) werden in keinem Instrument mitberücksichtigt, c) die Möglichkeit einer inhaltlich parallelen Version zur Fremdbeurteilung wird selten genutzt, d) die für deutschsprachige Nutzer vorliegenden, publizierten Verfahren erfassen Teilhabe nur sehr global oder sind älteren Datums, sodass Erfahrungen mit der ICF nicht mit eingeflossen sind. Angesichts der Bedeutung des Teilhabe-Konstrukts im deutschen Versorgungssystem wäre es wünschenswert, wenn sich Studien zur Neu- oder Weiterentwicklung von Assessmentinstrumenten mit diesen Herausforderungen befassen würden.

Abstract

The great significance of the concept of participation in health care policy is in contrast with the comparatively low resonance that the participation construct (“Teilhabe” in German) has found in scientific circles. It can be argued that this is due in part to the insufficient specification of the term in the ICF (“International Classification of Functioning, Disability and Health”) and the lack of suitable measuring instruments. This article deals with the question of what approaches to defining participation currently exist and what methods are conceivable for facilitating the integration of the construct in health services research. Based on a review of German and international literature on participation, the construct is differentiated from related concepts such as “social capital,” “social network,” “social support,” and “community integration”. It is recommended that participation should be understood as “social role participation”. The possibility this entails of referring to existing research traditions and available studies leads to the necessity that a comprehensive measurement of participation should include five dimensions of this construct: performance, capability, importance, context factors, and satisfaction. A review of the available instruments for measuring participation shows that most of them cover the ICF domains that are important in this context to a sufficient extent. However, there are the following areas for improvement: a) No measuring instrument includes all five relevant dimensions of participation, b) None of the instruments take non-health-related obstacles to participation (context factors) into consideration, c) The possibility of a version with parallel content for proxy assessment is rarely used, d) The published methods available to German-speaking users cover participation only globally or are older and do not incorporate experience with the ICF. In view of the significance of the participation construct in the German health care system, studies on new or ongoing developments of assessment instruments that meet these challenges would be welcomed.

Literatur

1 Da „Teilhabe” in der Schweiz eine engere Bedeutung hat als in Deutschland, der Teilhabe-Begriff aber in Deutschland im Sozialrecht eine zentrale Bedeutung hat, wurde der englische Originalbegriff im Text der deutschen Fassung der ICF mit „Partizipation [Teilhabe]” wiedergegeben.

2 Die ICF sieht zwar eine Berücksichtigung von Kontextfaktoren vor, aber nur als globale Klassifikation für eine Person und nicht bezogen auf einzelne soziale Rollen, d.h. nicht als Qualifikator, der für jede einzelne Kategorie der Teilhabe vergeben werden kann (vgl. auch den Vorschlag von Nordenfelt ([52], S. 1079, zur Einführung eines „opportunity qualifiers”).

Korrespondenzadresse

PD Dr. E. Farin

Universitätsklinikum Freiburg

Abt. Qualitätsmanagement und Sozialmedizin

Engelbergerstraße 21

79106 Freiburg

eMail: erik.farin@uniklinik-freiburg.de